Professionelle Beratung unter Gleichgesinnten in allen Lebenslagen

Gilbert Krüger (31) ist seit Dezember „Peer Counselor“ bei der SAB.Ruhr. Austausch mit Kunden und Arbeitskollegen stärkt Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigungen.

Wer sein Leben anderen, zunächst unbekannten Menschen anvertraut, steht vor großen Herausforderungen. Nicht selten kostet dieser Schritt Überwindung. Bis zu 24 Stunden pro Tag werden Menschen mit Beeinträchtigungen von ihren pflegenden Assistenten betreut – in jeder Lebenssituation. In diesem Spannungsfeld zwischen intensiver Nähe und Professionalität steht Kunden der SAB.Ruhr seit dem 1. Dezember 2017 als neuer Mitarbeiter und „Peer Counselor“ Gilbert Krüger (31) zur Seite. Losgelöst vom und ergänzend zum eigentlichen Assistenz-Team und der SAB.Ruhr-Verwaltung.

 

Privatleben mit dem Assistenz-Team

„Die dauerhafte Betreuung zieht massive Eingriffe in die Intimsphäre nach sich“, nennt Krüger den entscheidenden Punkt. „Die persönlichen Assistenten sind komplett in das soziale Umfeld der Menschen mit Handicaps involviert.“ Eine Grenze zwischen Beruf und Privatleben ist somit nicht mehr existent. „Vor allem nach dem Auszug, zu Beginn der Ausbildung oder eines Studiums, werden viele Aufgaben nicht mehr von den eigenen Eltern oder anderen vertrauten Personen übernommen, sondern von anfangs fremden  Assistenten“, fährt Krüger fort und reflektiert nüchtern: „Damit muss man sich abfinden.“

Kunde, Mitarbeiter, Peer-Counselor

Der 31-jährige Peer Counselor kann es so deutlich sagen. Er selbst macht stetig vergleichbare Erfahrungen, kennt daher Probleme, Fragen und Bedürfnisse, die durch eine intensive, professionelle Betreuung hervorgerufen werden.

Bei Krügers Geburt wickelte sich die Nabelschnur um seinen Hals, das Gehirn wurde nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt: „Infantile Zerebralparese, kurz IZP, nennt sich die Bewegungsstörung, wegen der ich im Rollstuhl sitze.“ Seit 2013 ist Krüger Kunde der SAB.Ruhr. Andere Menschen, die ebenfalls beeinträchtigt sind und von pflegenden Assistenten betreut werden, können sich nun an einen Gleichgesinnten in einer ähnlichen Situation wenden, der zugleich noch über die fachlichen Kompetenzen verfügt.

Wünsche und Anliegen losgelöst ansprechen

Daraus entsteht ein ganz neuer Zugang, der eine funktionierende Beziehung zwischen Assistenznehmern und -gebern weiter stärkt. Deni Halilovic, Geschäftsführer der SAB.Ruhr, konkretisiert: „Ein Mensch mit Handicaps bewältigt mit seinem Team den gesamten Alltag. Ob die Begleitung zur Arbeit, Universität oder zum Arzt; es ergeben sich viele verschiedene Situationen, die in unterschiedlichen persönlichen, zum Teil fordernden Eindrücken resultieren. Daher ist es wichtig, eine unabhängige Abteilung, in unserem Fall mit Herrn Krüger eine unabhängige Person, zu haben, die immer für einen da ist auf dem Weg zur Selbstbestimmung.“ Krüger ergänzt: „Bei mir können Dinge oder mögliche Konflikte viel losgelöster angesprochen werden. Das geht bis hin zu Lebensfragen oder Beziehungsmanagement.“

Neue Stelle stärkt „Dreiecksbeziehung“

Dass aus dem Kunden Krüger ein wichtiger neuer Pfeiler der SAB.Ruhr wurde, habe am perfekten Timing gelegen: „Es gibt immer mal wieder gewisse Probleme, die in Dialogen deutlich werden. Ich kann diese jetzt innerhalb der SAB.Ruhr auch aus Kundensicht schildern, damit wir mögliche Baustellen angehen können.“ Sein Wunsch, sich als „Referent für persönliche Assistenz“ stärker einzubringen, traf auf die Überlegung, die Stelle eines „Peer Counselors“ zu schaffen. Eine Ausrichtung, die „ganz, ganz neu“ sei und ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der SAB.Ruhr im komplexen Dreieckssystem zwischen Kunden, Mitarbeitern und Dienstleister bedeute.

„Klassischer Lebenslauf“ nimmt unkonventionelle Formen an

Es sei von großem Vorteil, Kunden in die Verwaltung zu holen, unterstreicht Gilbert Krüger und fügt einen weiteren Aspekt an: „Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen komme ich nicht aus der pflegenden Assistenz, sondern habe die ‚klassische Ausbildung‘ zum Bürokaufmann absolviert.“ Schlagwörter wie „Integration“ und „Inklusion“ habe es bei seiner Geburt im Jahr 1987 noch nicht gegeben. „In meiner Generation der Jahrgänge von circa 1985 bis 1990 finden sich bis zu einem gewissen Punkt viele identische Lebensläufe.“

Das sei auch der damals fehlenden Kreativität geschuldet, wählt der Peer Counselor deutliche Worte: „Wer in einem Rollstuhl sitzt, wird meistens direkt in einen Schreibtischjob verfrachtet.“ Von dieser Konvention ließ sich der 31-Jährige jedoch nicht beschränken und schloss ein zusätzliches Studium zum Diakon an, dass er „im kommenden Jahr“ ganz „nebenbei“ erfolgreich abschließen möchte.

Sozialen Charakter weiter stärken

Den Weg vom reinen Kunden hin zum Mitarbeiter mit eigenem Fachgebiet bei der SAB.Ruhr hat er bewusst gewählt: „Für mich ist diese Aufgabe keineswegs als Zwischenschritt gedacht. Leitbilder sind mir wichtig und das Unternehmen hat ein Profil mit sozialem Charakter, das ich nun noch weiter voranbringen möchte.“

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