„Genieße deinen Aufenthalt in Deutschland.“ Mit diesen Worten verabschiedete Irlands Ministerpräsident Enda Kenny den Studenten Adam Sharpe. Ein Satz, der den langersehnten Durchbruch bedeutete: „Er sagte es wirklich auf Deutsch. Da wusste ich, dass mein Auslandssemester in Bochum so gut wie sicher war“, freut sich der 23-jährige Ire während eines Gespräches im behindertengerechten Studentenwohnheim Sumperkamp.
Fortführung der bewilligten Unterstützung im Ausland
Sharpe, durch eine frühkindliche Hirnschädigung auf Rollstuhl und Betreuung angewiesen, ist damit der erste Student mit Beeinträchtigungen, dem ein Auslandsaufenthalt samt Fortführung der bewilligten finanziellen und pflegerischen Unterstützungen ermöglicht wurde. Seine beharrliche Pionierarbeit ebnet nun anderen Menschen mit Betreuungsbedarf Wege und erweitert deren Möglichkeiten der universitären Weiterbildung.
Erster Arbeitsmarkt als Ziel
Ein immens wichtiger Schritt hin zum ersten Arbeitsmarkt. Ein Ziel, welches auch die SAB.Ruhr für ihre Kunden stets im Auge hält. Adam Sharpe hatte einen einfachen Wunsch: „Ich wollte unbedingt ein Auslandssemester in Bochum absolvieren, um Sprache und Leute besser kennenzulernen. Deutschland ist eine der stärksten europäischen Wirtschaftsnationen und ich sehe gute Berufsperspektiven – generell, nicht nur für Leute mit Beeinträchtigungen.“
Herausforderungen sind keine Hindernisse
Anfangs hagelte es Bedenken und Absagen von allen Seiten, Verantwortliche – angefangen bei seiner Universität in Dublin – wiesen auf Probleme hin, anstatt Lösungen zu suchen. Dennoch verbringt der Ire jetzt seit September 2014 sein Auslandssemester an der Ruhr-Universität (RUB) und hat damit für eine Revolution gesorgt. Sharpe setzte sich über bürokratische Wirren hinweg, gewann „Taoiseach“ Kenny persönlich für sein Anliegen und schuf somit die Basis für ein Pilotprojekt, welches nun vielen anderen seine monatelangen Kämpfe ersparen wird. „All jene, die nicht in meiner oder der Situation vieler anderer sind, sehen leider meist nur Hindernisse. Für mich gibt es nur Herausforderungen, die man bewältigen kann, wenn man willens ist und die richtige Unterstützung erhält.“
Ein ganz normales Studentenleben
Diese bekam er von seiner Familie: „Ich kann mich glücklich schätzen, dass meine Eltern und meine Schwester mit mir zusammen gekämpft haben. Das bestärkte meine Ansicht, dass ich nicht anders bin, nur weil ich im Rollstuhl sitze.“ Das verdeutlicht auch sein Leben im Studentenwohnheim Sumperkamp. „Ich lerne, gehe schwimmen, am Wochenende auch mal etwas trinken und meine große Leidenschaft ist das Schreiben.“
Flexible Betreuung
Der einzige Unterschied zu seinen Kommilitonen besteht darin, dass ihn täglich ein Mitarbeiter der SAB.Ruhr begleitet, um ihm die gleichen Chancen zu ermöglichen. Kundenbetreuer Stephan Jakobs skizziert das Modell: „Adam ist ein Team von sechs Assistenten zugeteilt, die ihn abwechselnd von morgens bis abends begleiten.“ Viel organisieren müssten sie dabei nicht. „Adam plant seine Tage komplett eigenständig, natürlich auch abhängig von seinen universitären Verpflichtungen. Unser Anspruch ist es, die Assistenz flexibel und spontan zu gestalten, um seinen Vorstellungen gerecht werden zu können.“ Daher passen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten gerne an wenn z.B. eine Aktivität am Abend geplant ist, wie Malte Völkel – selbst Student an der RUB und Mitglied im sechsköpfigen Assistenzteam – erzählt: „Das ist für uns kein Problem, da wir generell kein Arbeitsverhältnis zueinander haben, sondern mit der Zeit eine Freundschaft entstanden ist.“
Verjüngtes Assistenzteam
Hierzu gehört auch, dass größtenteils jüngere Assistenten für Sharpe eingeteilt sind: „In Irland war es anders, die meisten Betreuer waren deutlich älter als ich. Deshalb musste ich mich anfangs etwas umgewöhnen, sehe aber mittlerweile den enormen Vorteil. Nach dem Ende meines Aufenthaltes im August 2015 werde ich auch in meiner Heimat anregen, vermehrt mit jüngeren Betreuern arbeiten zu können. Dadurch entsteht einfach eine ganz andere Ebene der Kommunikation“, zeigt sich der Ire begeistert.
„Persönliches Budget“ selbst verwalten
Als er im September 2014 sein Semester begann, hatte seine Mutter bereits alle wichtigen Absprachen getroffen, berichtet Jakobs: „Es verlief ganz unkompliziert und niemand musste lange Dienstwege über Dritte oder seinen irischen Pflegedienst gehen. Frau Sharpe kam direkt zu uns nach Langendreer und teilte uns den genauen Bedarf mit.“
Möglich ist dieses Vorgehen durch die revolutionäre Bewilligung des „self-directed-founding“, welches innerhalb eines irischen Pilotprojekts nun dank Sharpes Einsatz nationenübergreifend umgesetzt wird: „Das ‚persönliche Budget‘ ermöglicht es unseren Kunden, die bewilligte finanzielle Unterstützung entsprechend der täglichen Bedürfnisse selbstständig zu verwalten. Die SAB bietet dieses Modell in Deutschland schon länger an, sofern es denn auch gewünscht ist. Bislang gehörte z.B. die Fortsetzung der Finanzierung und der Betreuung durch unsere Mitarbeiter bei Urlauben zum Standardrepertoire.“ Die Übertragung der bewilligten Leistungen auf andere Länder und dortige Dienstleister ist hingegen Neuland, trotz Sharpes berechtigten Einwandes: „Ich habe nie verstanden, was angeblich dagegen sprechen sollte.“
Liste für den Ministerpräsidenten
Spontanität und Schlagfertigkeit halfen ihm auch beim Erreichen seines großen Ziels: „Es herrschte gerade EU-Wahlkampf und die Abgeordnete (MEP) unseres Bezirkes klopfte an unsere Tür, um zu fragen, ob sie auf unsere Stimme zählen könnte.“ Sharpe reagierte geistesgegenwärtig: „Ich sagte ‚Klar, aber sie müssen auch etwas für mich tun‘ und schilderte ihr mein Anliegen“ Mit einem einfachen Satz mobilisierte er die Politik: „Wir standen fortan im regelmäßigen Austausch. Unsere MEP informierte Verantwortliche, fragte stets nach dem aktuellen Stand und lud mich schließlich zu einer Wahlkampfveranstaltung ein.“ Ebenfalls zu Fast: Ministerpräsident Kenny.
Geduldig wartete der 23-jährige Sharpe den passenden Moment ab, drehte sich um und reichte Irlands mächtigstem Mann entschlossen eine Liste mit allen Anforderungen für sein Auslandssemester, die er einige Tage zuvor kurzerhand mit seiner Mutter aufstellte. „Ich hoffe, Sie wurden bereits über meine Situation aufgeklärt“. Worte, die scheinbar genau den richtigen Nerv bei Kenny trafen, der in der Folge die nötigen Hebel in Gang setzte.
Kein Platz für Zweifel
Nachdem der politische und bürokratische Weg geebnet war, ging alles ganz schnell. Die SAB.Ruhr erstellte kurzerhand ein umfassendes Betreuungskonzept nach Sharpes Ansprüchen und das Auslandssemester wurde endlich Realität. Dass andere Studenten in ähnlichen Situationen nun davon profitieren, ist für Sharpe der Kern seines Kampfes: „Es geht nicht darum, dass ich der erste war, sondern, dass andere es nun einfacher haben.“ An Grenzen hat er nie geglaubt: „Nur deshalb studiere ich jetzt hier in Bochum. Wer ständig zweifelt, kommt nicht voran.“ Dank seines Einsatzes sind weitere Barrieren gefallen und neue Freundschaften zu seinen Assistenten entstanden.